"Erstes Bewerbungsverfahren für Landarzt-Studienplätze startet", heißt es heute aus dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt. Dabei handelt es sich um die praktische Umsetzung der Ende September 2019 im Landtag per Gesetz theoretisch festgeschriebenen Landarztquote. Durch die Regelung reserviert Sachsen-Anhalt an den heimischen Universitäten Magdeburg und Halle fünf Prozent der Medizinstudienplätze für angehende Landärzte. Mediziner, die wir in ländlichen Regionen wie der Altmark dringend brauchen. Jetzt schon! Und vor allem brauchen werden!
So weit, so gut! Nur leider sprechen wir hier über die Gleichung 5% von 400. Und die geht nicht auf. Um die 400 Studienplätze für Mediziner gibt es in Sachsen-Anhalt pro Jahr. 20 Plätze für Landärzte macht das unterm Strich. Mediziner, die sich vertraglich verpflichten, nach Abschluss der Facharztausbildung zehn Jahre lang als Hausarzt in Gebieten in Sachsen-Anhalt tätig zu sein, in denen im hausärztlichen Bereich Unterversorgung besteht oder droht. 20 von 400 und diese Plätze kommen nicht dazu, sondern aus dem Bestand der 400. Zur Verdeutlichung der Relationen: 2018 gab es in Sachsen-Anhalt 1.456 Hausärzte. Weitere 141 hausärztliche Stellen waren unbesetzt. Macht unterm Strich 10%. Bis 2032 werden 928 Hausärzte mit 65 Jahren das Rentenalter erreicht haben. Bei nur 44 Facharztanerkennungen der Allgemeinmedizin im Jahr ist diese Lücke nicht zu schließen. Es bleibt ein Delta von 262 unbesetzten Stellen. Und daran wir auch die in Sachsen-Anhalt neu eingeführte Landarztquote nichts ändern. (Mehr dazu und weitere Ideen zur medizinischen Versorgung in der Altmark - z. B. über einen Ärzte-Scout in meinem Blogbeitrag vom 20.09.2019.)
So sehr ich die Initiative der Landarztquote auch begrüße - ich möchte sie weder kleinreden und schon gar nicht werde ich sie totreden - doch sie kann nur ein Anfang sein! Ein guter Anfang. Die richtige Richtung. Ein wichtiges Signal für mich als kommunalen Bürgermeister, der sich seit 2016 selbst um Initiativen zur Beseitigung einer drohenden medizinischen Notlage in Osterburg bemüht - alles festgehalten im "Leitfaden zur Ärzteversorgung in der Hansestadt Osterburg (Altmark).
Ja, ich gebe zu: mir kam erst "Tropfen auf den heißen Stein" in den Sinn - als mich die Nachricht am frühen Nachmittag erreichte. Denn den real bestehenden Bedarf an Ärzten auf dem Land vor Augen, ist die fünfprozentige Landarztquote in Sachsen-Anhalt viel zu wenig. Das hat mit trotzigem oder gar resigniertem Abwinken absolut nichts zu tun. Andersrum: "Tropfen auf den heißen Stein" steht für "völlig sinnlos". So wie ein Wassertropfen eben sofort verdunstet ohne eine Spur auf dem Stein zu hinterlassen, auf den er fällt. Und das ist die Landarztquote in Sachsen-Anhalt sicher nicht. Hier wird nichts vergeudet. Vielleicht aber verpasst. Nämlich der richtig große Wurf, der ganz mutige Schritt nach vorne! Sachsen-Anhalt in der Vorreiterrolle wenn es um die großen Zukunftsfragen geht. In dem Fall den demografischen Wandel und seine Folgen. JETZT.
Ab dem Wintersemester 2020/21 geht es los. Das Bewerberportal ist unter www.landarztquote-sachsen-anhalt.de freigeschaltet und bietet auch Abiturienten eine Chance, die keinen Notendurchschnitt von 1,0 haben. Wie das? Wer sich um einen Studienplatz bewirbt, kann seine Chancen durch den Nachweis einschlägiger Berufserfahrung oder ein mindestens sechsmonatiges Praktikum in einer ärztlich geleiteten Einrichtung erhöhen. Außerdem findet im Mai 2020 in Magdeburg ein speziell auf die Bedürfnisse der landärztlichen Tätigkeit ausgerichteter Studierfähigkeitstest statt. Das Testergebnis geht mit einer hohen Gewichtung in die Entscheidung ein.
Und mal ehrlich: Eine 1,0 im Abitur ist meiner Meinung nach generell eher utopisch und auch nicht Sinn und Zweck des Lernens für das Leben, auf das die Schule unsere Kinder nun einmal auch vorbereitet. Extremer Druck, in allen Fächern eine glatte Eins zu haben, schon in ganz jungen Jahren, um dann eventuell Medizin, Pharmazie oder Psychologie studieren zu können.... Zumal das Abitur in Sachsen-Anhalt neben dem im Bayern und Baden-Württemberg als eines der schwersten gilt. Eine Reform zur bundesweiten Vergleichbarkeit der Abiturnoten und eine Reform der komplizierten und ebenfalls nicht einheitlichen Zulassungsverfahren für Studiengänge sind längst fällig. Soziales und gesellschaftliches Engagement, Soft Skills - also persönlicher Charakter und Verhaltensweisen, die nicht mit harten, nachweisbaren Fähigkeiten wie einer Abiturnote oder anderen Zertifikaten zu belegen und durch andere zu beurteilen sind - sind nicht zu vernachlässigende Kompetenzen. Kompetenzen, die wie ich finde gerade bei der Entscheidung für ein Studium der Humanmedizin nicht außen vor gelassen werden dürfen. Und die man mit einem Numerus clausus von 1,0 im Abitur auch nicht nachweisen kann.
In Osterburg haben wir unsere drei Medizinstipendien inzwischen vergeben. Der Landkreis Stendal nimmt sich den "Osterburger Weg aus der drohenden medizinischen Notlage" zum Vorbild und vergibt von 2020 bis 2025 pro Jahr zwei Medizinstipendien. Ich war und bin viel zum Thema Landarzt / medizinische Versorgung auf dem Land unterwegs: in Gesprächen vor Ort und im Land - um zu sensibilisieren, praktische Erfahrungen weiterzugeben und natürlich um auch, um von anderen zu lernen.
Darum hat es heute wohl auch nicht lange gedauert, bis die ersten Redakteure sich bei mir für ein Statement zur Landarztquote in Sachsen-Anhalt gemeldet haben..... Hier der frisch ernannte SAW-Nordreporter Maximilian Hensch.